Madeira pur

Wie unfassbar privilegiert wir doch seit drei Monaten durch’s Leben stromern. Hier auf Madeira hat uns der Schlendrian komplett erwischt, obwohl wir permanent unterwegs sind, uns neugierig durch die Gegend schnüffeln und uns nicht satt sehen können an der Inselschönheit. Blüten springen uns mit ihren Farben an, Früchte platzen oder fallen überreif von den Bäumen, wir probieren uns durch süße Kleinigkeiten und schlemmen große Köstlichkeiten. Hier chillen Rinder am Wegesrand, da ruft ein junges Schaf nach seinen Eltern, einige Bergspitzen weiter schießt ein Wasserfall ins Tal und dann wieder tauchen mit Stroh gedeckte Häuser auf. Kleine Oasen, die nur mit der Seilbahn zu erreichen sind und Naturschwimmbecken, die einem Pastellbild entsprungen sein könnten…und immer wieder zurück in die ruhige Marina von Quinta do Lorde, um die Eindrücke des Tages mit in einen schönen Abend zu nehmen. Und wie schön, dass auch Max und Ruth diese Insel mit uns genossen haben.

Wir wissen selbstverständlich um die Armut vieler, nicht nur alter Menschen in den kleinen abgeschiedenen Häusern, die kaum als Dorf zu bezeichnen sind. Tatsächlich scheinen an manchen Orten die Häuser in die Hänge geklebt zu sein, damit das Fundament überhaupt Halt findet. Etliche Häuser stehen verlassen, weil die Bewohnerinnen und Bewohner entweder in die einzige große Stadt Funchal oder ins Ausland gezogen sind und sich dadurch ein etwas besseres Einkommen erhoffen. Fischer haben auch hier keine Chance, sich gegen die großen Fangflotten zu behaupten. Steile Straßen und Gassen schrauben sich durch die Berge, einige Orte sind nur durch die vielen in den Berg gebauten Tunnel zu erreichen. Für uns Großstadtkinder fühlt sich hier aber alles genau richtig an. Wir staunen, bewundern, beobachten, probieren, entdecken und kommen aus dem Staunen nicht heraus.

Auch in Funchal, wo gut die Hälfte der ca. 250.000 Bewohner/innen Madeiras lebt, entdecken wir kleine Läden und Geschäfte, die seit Generationen geführt werden und sich bisher gegen alle Konkurrenz behaupten konnten. Ob es aber für mehr als zum Überleben reicht…? Auch in der Altstadt (Zona Velha) Funchals verfallen Häuser und sind Zeugnis für den Wegzug vieler Madeirer/innen. Der ältesten Straße aber wurde im Rahmen einer Kunstaktion neues Leben eingehaucht. Über 200 Türen in der Rua de Santa Maria wurden 2011 künstlerisch gestaltet, woraufhin sich zunächst Kunstateliers und dann auch Restaurants in der Straße ansiedelten. Wir haben eine lebhafte freundliche Straße erlebt, in der sich Künstler/innen und Restaurants tummeln und abends Konzerte stattfinden. Ein Genuß, durch diese Straße zu bummeln.

Beeindruckend unser Besuch des Mercado dos Lavradores (Markt der Bauern), auf dem sich am Ende der Woche die Einwohner/innen mit Gemüse, Obst und Fisch für die kommende Woche versorgen. Wir haben uns erstmal fein über’s Ohr hauen lassen, weil wir uns erst hinterher schlau gemacht haben. Wer mag, kann sich im Internet z. B. über die angebliche Ananasbananenfrucht informieren, die es (zumindest unter diesem Namen) gar nicht gibt. Für gut ein Kilo verschiedener Früchte haben wir ordentlich Lehrgeld bezahlt, dem Verkäufer sei sein vermutlich allein durch uns verdientes Tageseinkommen gegönnt. Lecker war’s trotzdem. Der Markt ist eine wahre Farbexplosion mit all seinen hier auf der Insel wachsenden Früchten und abgesehen von den Touristenübersohrhauständen (selber Schuld) eine tolle Alternative zu den in Portugal vorherrschenden Supermarktketten Continente und Pingo Doce.

Max und Ruth sind heute nach 14 erlebnisreichen Tagen wieder von Bord gegangen. Gemeinsam haben wir die Insel mit dem Leihwagen „erfahren“ und zu Fuß erwandert.

Im südlichen Teil der Insel…
besuchen wir neben Funchal den alten Fischerort Camara de Lobos mit seinen bunten Fischerbooten, den sich Winston Churchill in seinem zweiten Leben nach der Politik als Lieblingsort zum Malen ausgesucht hat. Sein Geist weht noch heute durch den kleinen Ort…werbewirksam auf jedem zweiten Restaurantschild. Aber wenn’s der Sache nutzt ;-).
Am Cabo Girao (Kap der Umkehr), das zu den höchsten Steilklippen der Europäischen Union zählt, haben wir auf dem 2014 gebauten Skywalk gestanden und durch die Glasplattform unter unseren Füßen 580 m in die Tiefe geschaut. Für mich mal wieder ein spannendes Erlebnis, wie auch jede Seilbahnfahrt, aber mit dem Motto „Wo die Angst ist, da geht’s lang“ geht (fast) alles.

Mit der Seilbahn sind wir den Abhang der Steilküste 300 m runter zum Faja dos Padres (einem der ältesten Malvasia-Weinanbaugebiete Madeiras), gefahren. Früher von den Jesuiten bewirtschaftet, wird das Gebiet heute von einem Familienunternehmen in Bioanbau bewirtschaftet. Zwischen Weinreben, Mangos, Bananenstauden, Avocados, Cayennekirschen, Feigen und Passionsfrüchten kommen wir uns vor wie im Schlaraffenland…aber: nur ansehen, nicht essen. Schmecken lassen wir es uns dann aber nebenan im Restaurant, dass mit den Produkten der Faja dos Padres beliefert wird. Lecker.

Nicht entgehen lassen wollen Max und ich uns oberhalb von Funchal im schönen Monte eine Fahrt mit dem Korbschlitten, bis ins 20. Jahrhundert neben Ochsenkarren die einzige Transportmöglichkeit aufgrund fehlender Straßen an den extrem steilen Hängen. Je zwei Korbschlittenlenker steuern, hinten auf den Kufen stehend, einen mit bis zu 3 Personen besetzten Korbschlitten den ca. 2 km langen spiegelglatten Weg hinunter und bremsen nur mit ihren Schuhen die Fahrt in den Kurven ab. 30,00 Euro für zwei Personen ist uns dieses Vergnügen wert (Schlitten und Fahrer werden übrigens wieder nach oben gefahren und müssen nicht den ganzen Weg hochlaufen), das schon Elisabeth (Sissi) von Österreich im Jahr 1860 genossen haben soll.

Einen kleinen Einblick in die Vielfältigkeit des Korbflechthandwerks bekommen wir im 700 m hoch am Hang gelegenen Camacha. Im Café Relógio befinden sich große Verkaufsräume, im Untergeschoß kann man mit Glück noch einen Korbflechter bei seiner anstrengenden Arbeit antreffen, die er auf dem Boden hockend verrichtet. Die meisten Korbflechter verarbeiten die nassen Weidenruten mittlerweile (in gleicher Körperhaltung) in Heimarbeit. Vom kleinen Körbchen über Stühle bis hin zu künstlerischen Gegenständen gibt es hier fast alles für die Liebhaber/innen dieser Produkte.

Im Norden…
sind wir hin und weg von den Naturschwimmbecken von Porto Moniz, empfinden im ruhigen Santana mit noch vielen Stroh gedeckten Häusern (Santanahäuser oder Casas do Colmo) ein wenig sonntägliche Bilderbuchstimmung und lassen uns in Sao Vicente die Lapas (Napfschnecken) schmecken.

Das Zentrum (Zentralgebirge und Hochebene)…
erleben wir bei unseren Wanderungen mal im Nebel, mal kühl über den Wolken, mal schwitzend in der heißen Sonne; immer staunend über die natürliche Landschaftsvielfalt dieser Insel. Krönender Abschluß ist unsere Wanderung in der westlichen Hochebene Paúl da Serra. Zunächst geht es von Rabacal aus durch den Lorbeer- und Baumheide-Urwald entlang der Levada do Risco. Mit den Levadas (künstlich angelegte Wasserkanäle) wird das Wasser aus dem niederschlagsreichen Norden in den regenarmen Süden der Insel geleitet. Aus den moosbedeckten Felswänden sprudeln hier die Quellen und am Ende des Weges stürzt ein mächtiger Wasserfall ins Tal. Einmal mehr singen wir ein Hohelied auf den Erfinder der Digitalkamera.
Weiter geht die Wanderung zu den 25 Quellen (Levada das 25 Fontes). Links der abschüssige bewaldete Hang, rechts die Levada, daneben auch dichter Wald vor den steil aufsteigenden Felsen und dazwischen ein schmaler Weg. Beim Entgegenkommen muß auch schon mal eine/r auf den Rand der Levada steigen. In einem Felsenrund endet der Weg, mehrere kleine Wasserfälle füllen das davorliegende offene Becken. Eiskaltes Wasser, aber Ruth und ich mußten einfach zwei Schwimmzüge wagen. Brrrrr, war das schön.

Im Osten…
haben wir in Quinta do Lorde unser momentanes Zuhause (unseren Karl) und im beschaulichen Machico waren wir gerne einkaufen.

Getrunken haben wir u. a. Bica (Espresso) und Chinesa (Milchkaffee), probiert den auf Madeira traditionellen Poncha (besteht aus Brand aus Zuckerrohrsaft, Bienenhonig und Zitronen), in Curral das Freiras den Ginja (Likör aus Sauerkirschen) und in Santana den Madeirawein. Gegessen haben wir u. a. Lapas, Bola do caco mit frischer Knoblauchbutter, Espetada (Rindfleischstücke werden mit Lorbeerblättern auf einem Stock vom Lorbeerbaum aufgespießt und gegrillt), probiert Espada com banana (schwarzer Degenfisch mit Banane) und etliche verlockende Süßspeisen.

Eigentlich wollten wir Ende der Woche weiter Richtung Kanaren und haben nur noch auf das Paket mit dem neuen Regler für den Windgenerator gewartet. Heute stellt sich heraus, dass der Regler statt nach Madeira auf die Azoren geschickt wurde.  Ist nicht so toll, kann aber natürlich passieren. Mal sehen, ob wir trotzdem weiterfahren oder noch eine Wartewoche hier dranhängen…Probleme sind das…

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