La Graciosa – Entspannt auf den richtigen Wind warten

Zurück auf Karl…trotz Freigabe des Arztes, mit dem verletzten Fuß segeln zu können, haben wir keine Chance.

Konstant bläst der Wind aus Nord, also direkt gegenan. Im Hafen merken wir nichts davon , die Sonne scheint und alles ist ruhig. Ohnehin ist hier alles völlig entspannt. Die Fähren spucken einige Tagesurlauber/innen aus, die sich entweder gleich auf’s Rad zur Inselerkundung schwingen oder erst einmal in einer Bar bei einem Cortado (Espresso mit Milch) den Blick über die kleine Badebucht genießen. Die Fischer bringen nachmittags ihren Fang in die Fischhalle der Fischervereinigung, der vermutlich gerade zur Belieferung der Restaurants reicht. Der Laden zum Direktverkauf hat jedenfalls trotz angeschlagener täglicher Öffnungszeiten während unseres Aufenthaltes nie geöffnet. Genießen wir den Fisch eben in einem der Restaurants und versorgen uns ansonsten während eines täglichen Bummels in einem der kleinen Supermärkte.

Ein paar Tage nach unserer Ankunft, werden die sanitären Anlagen des Hafens (je ein Raum mit WC, Waschbecken und kalter Dusche für Frauen und Männer) mit neuer Elektrik ausgestattet. Zumindest wird damit begonnen. Steckdosen, Schalter, Lampen sind recht zügig angebracht. Aber dann…gemach gemach. Mal sind die Anlagen wegen der Arbeiten geschlossen, mal gibt es im gesamten Hafenbereich auch tagelang keinen Strom, Wasser zu später Stunde ohnehin nicht mehr. Aber wen kümmert’s…wir sind längst in der kanarischen Entschleunigung angekommen.

Immer mal wieder schlendern wir ein wenig zum Wasser, genießen die Sicht auf Lanzarote, die Stimmung im Hafen und erfahren täglich Neues. So auch, dass vor Zulassung der Landrover für die Einwohner/innen die Schubkarre Symbol für La Graciosa war. Mit ihr wurde sogar das Gepäck der Urlauber/innen von der Fähre zum Gästezimmer gebracht. Jetzt ist der ganz eigen geformte Strohhut Wahrzeichen La Graciosas, auch wenn es ihn neu nur noch als entfernter Abklatsch des Originals zu kaufen gibt.

Wir entscheiden uns, eine Inseltour zu unternehmen. Da es für Hans zu Fuß jetzt so richtig schlecht ist, wollen wir eine geführte Tour mit dem Landrover machen.

Auf Empfehlung von Eva, die wir in ihrem kleinen, sehr hübschen Lädchen „Explora“ kennengelernt haben, rufen wir bei Siggi an. Hört sich nicht nur deutsch an, ist er auch. Siggi ist vor dreissig Jahren mit seinem Segelboot auf der Insel und an einer Bewohnerin hängen geblieben. Seitdem lebt und arbeitet er zusammen mit seiner Frau auf der Insel und bietet unter anderem die Inselrundfahrt an. Grosser Vorteil für uns, Siggi hat was zu erzählen und im Gegensatz zu seinen spanischen Kollegen können wir ihn auch verstehen.

So geht es zu den wunderschönen Stränden sowohl im Norden als auch im Westen. Nur wenige Tagestourist/innen verlaufen sich hier her, denn auch mit dem Fahrrad ist es nicht einfach, über die Sandpisten zu fahren und die Sonne brennt gnadenlos. Siggi erzählt von den geologischen Zusammenhängen, erklärt uns, daß die zu Tausenden zu sehenden kleinen Schnecken und auch die Konkons aus geologischer Vorzeit stammen. Wir fahren vorbei an den wenigen noch vorhandenen landwirtschaftlichen Feldern. Mittlerweile wird nur noch sehr wenig für den Eigenverbrauch angebaut, weil sowohl Aufwand als auch Wasserkosten zu hoch sind. So geht es dann lieber zum Wocheneinkauf nach Lanzarote.

Viele Einwohner/innen aus Caleto del Sebo haben auf Lanzarote einen PKW stehen. Sie fahren mit der Fähre nach Orzola auf Lanzarote, dort mit ihrem Wagen weiter nach Arrecife zum Einkaufen, Wagen zurück nach Orzola und zurück auf La Graciosa werden die Einkäufe per Landrover nach Hause transportiert. Zu teuer wäre es auf Dauer, den gesamten täglichen Bedarf hier im Ort zu kaufen, denn die Fährkosten auch zum Transport der Lebensmittel für die Supermärkte schlagen sich merkbar in den Preisen dort nieder.

Überhaupt erfahren wir viel über das Leben auf La Graciosa von einem Insider (der aber doch immer nur Zugewanderter bleibt); z. B. daß es den Menschen auf La Graciosa im Vergleich zu den früheren Jahren sehr gut geht und daß es Armut bei den ca 600 Einwohner/innen nicht gibt. Die Schule wird von 65! Kindern besucht, das ist schon recht erstaunlich bei knapp 600 Einwohner/innen, war uns aber vorher schon auf den Straßen aufgefallen.

Auch über Politik können wir mit Siggi reden und so erstaunt es nicht, dass es im Kleinen auf der Insel nicht anders funktioniert als auf den grossen Inseln oder auf dem Festland. Öffentliche Gelder versickern irgendwo, in irgendwelchen Taschen und so steht um das Gemeindezentrum noch immer ein Bauzaun, obwohl es schon lange fertiggestellt sein könnte/sollte. Die Solaranlage auf der Schule wurde nach jahrelang geflossenen Zuschüssen offenbar nur errichtet, um eine praktische Umsetzung nachweisen zu können.

Auch die neue Unabhängigkeit von Lanzarote (La Graciosa, übersetzt „Die Anmutige“, ist seit Juni 2018 offiziell die achte Insel der Kanaren) ändert an der Situation vermutlich nichts. Und so zuckt auch Siggi, wie wohl die anderen Bewohner/innen auch mit den Schultern, als wir ihn nach den Vorteilen der neuen Unabhängigkeit und künftig eigener Verwaltung fragen. Jahrelang wurde für diese Eigenständigkeit gekämpft. Ob sie außer der Tatsache, dass das Wappen der Kanaren jetzt geändert werden muß (worüber sich einige diebisch freuen), wirklich von Vorteil für La Graciosa sein wird, ist fraglich. Besonders die geplante Eigenwerbung für Urlaube auf der Insel wird vermutlich weitere Tourist/innen gewinnen. Dem Charme der Anmutigen wird das sicher nicht gut tun. Wasser und Strom wird auch künftig täglich per Pipeline von Lanzarote nach La Graciosa transportiert werden müssen. In überlebenswichtigen Fragen wird das kleine Eiland also ohnehin immer von der großen Nachbarin abhängig bleiben.

Wir kommen auch nochmals in Pedro Barba vorbei und Siggi erzählt von den alten Zeiten, die ihm aus der Familie seiner Frau bekannt sind. Das harte Leben der damaligen Einwohner/innen kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen… Fast drei Stunden vergehen wie im Fluge und anschließend sind wir nicht nur um tolle Eindrücke, sondern auch um einige Einblicke reicher.

Aber auch die Tage vergehen wie im Flug. Jeden zweiten Tag begeben wir uns zum Arzt ins „Consultorio La Graciosa“, um den Fußverband wechseln zu lassen. Hier ist alles in männlicher Hand, die Rezeption, der Krankenpfleger und der junge Arzt, der sogar ein paar Brocken Deutsch kann. Jeden Tag haben sie Dienst, selbst samstags und sonntags von 11.00 – 14.00 Uhr. Erstaunlich, wie so einiges hier.

Dazu zählt auch der Karneval, der kurz aber heftig zwei Wochen nach Aschermittwoch durch den Ort fegt. Die Tage vergehen wie im Flug, der April zeigt sich auch hier von seiner gewohnten Wetterseite abwechselnd mit Regen und Sonne. So feiern wir den Geburtstag von Hans mit den Crews der SY Libra und SY Karakter erst in der Plicht und dann, rette sich wer kann, verziehen wir uns vor dem Regen in den Salon. Abends gehen wir im für uns besten und schönsten Restaurant direkt am Strand frischen Fisch essen. Sehr lecker, sehr romantisch…trotz ein paar Schauern war es ein wunderschöner Tag auf einer wunderschönen Insel.

Am nächsten Tag wander ich nach unserem morgendlichem Café in der Bar am Hafen zum Playa de la Cocina an der Südwestspitze. Idyllisch gelegen vor dem Vulkankrater Montana Amarilla, dessen gelber Vulkantuff besonders in der Nachmittagssonne über der Bucht strahlt.

Endlich, wir sind jetzt schon fast zwei Wochen auf der Insel, deutet sich ein Wetterfenster an. Jeden Tag sitzen wir mit der Crew der SY Karakter zusammen und besprechen die verschiedenen Wettermodelle. Am Montag dann ist klar, Dienstagmorgen geht’s zusammen los. Zwei Tage Nord-Ost Passat mit im Schnitt 20 Knoten Wind, Seegang bis zu drei Metern… Kein gemütliches Segeln, aber eine Chance, die wir uns nicht entgehen lassen wollen. Obwohl wir weiter müssen, fällt uns der Abschied von La Graciosa nicht leicht. Wir haben uns in dieser kleinen eigenen Welt sehr sehr wohl gefühlt.

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