Rauschefahrt gen Norden

Nachdem also das Wetterfenster da ist, wird Karl am Montag vorbereitet.

Die Genua wird gegen die kleine Fock getauscht, es wird aufgeräumt, alles seefest verstaut und SY Karakter geht in die Bucht Playa de Francesca, um sich vor Anker einzuschaukeln. Dienstag morgen um sieben, es ist noch dunkel, machen wir die Leinen los. Tschüss, du so schönes Graciosa. Über Funk hören wir, dass SY Karakter auch bereit ist und als wir an der Ankerbucht vorbeisegeln, staunen wir nicht schlecht. Vor uns sind schon zwei Boote Richtung Norden unterwegs, dann kommen Karakter, die gerade unter Segeln die Bucht verläßt, und wir. Auf dem AIS sehen wir noch ein fünftes Boot ca. 5 Meilen voraus. Alleine sind wir schon mal nicht, obwohl Karl das Kleinste von allen ist und wir vermuten, daß die anderen Schiffe bald am Horizont verschwinden. Als wir vom El Rio nach Norden abbiegen, frischt der Wind merklich auf und die angekündigte Dünung kommt uns entgegen. Mit der Fock und dem vollen Großsegel machen Karl die 20 Knoten Wind aber nichts aus. Er legt sich gutmütig auf die Seite und zischt los. 6 Knoten Fahrt und immer häufiger taucht auch die 7 auf Karls Instrumenten auf. Und siehe da, zügig holen wir zu den andern Booten auf, nur als wir dem ersten dann immer näher auf die Pelle rücken, reffen sie aus und geben mit ihrem sicherlich über 40 Fuss langen Boot richtig Gas. “Kommen auf See zwei Segelboote zusammen, hat man eine Regatta… ?“

Auch die SY Karakter bleibt langsam hinter uns und gegen Abend verschwindet sie im Sonnenuntergang am Horizont. Alle zwei Stunden checken wir aber über Funk, ob gegenseitig alles ok ist. Sowohl die Geschwindigkeit als auch der Seegang fordern ihren Tribut. Nachdem die anfängliche Euphorie vorbei ist, die Windsteueranlage ihren Dienst bestens verrichtet, macht sich bei mir Unwohlsein bemerkbar und schon kurze Zeit später geniessen die Fische mein Frühstück. Dies geht leider bis zum frühen Morgen des nächsten Tages und es ist mal wieder faszinierend, dass Silke völlig unbeeindruckt davon bleibt. Aber auch bei mir kenne ich diese Heftigkeit nicht. Ob es am Antibiotika, das ich bis zur Abfahrt wegen des Fußes nehmen musste, liegt? Zur Nacht binden wir das erste Reff ins Großsegel und sind damit immer noch schnell genug.

Silke übernimmt die komplette Nachtwache und sie macht es mit Bravour. Zwischendurch frischt der Wind auf 25 Knoten (gute 6 Beaufort) auf und der Seegang mit zwei bis drei Metern aus Nordwest wird durch die Windsee aus Nord-Ost gekreuzt. Ruhiges Segeln ist anders und Karl wird regelmäßig komplett geduscht. Innen im Boot hört es sich an wie in einem alten Intercity-Zug. Laut rauscht die vorbeiziehende See und zwischendurch kracht es ordentlich, wenn eine Welle unsortiert kommt und Karl mit Karacho dort hineinstampft, ausgebremst wird und bis in die Mastspitze erzittert. Aber dafür ist er gebaut und wir vertrauen völlig zu Recht auf britische Schiffsbaukunst. In der Nacht haben wir dann noch eine Begegnung der etwas unheimlichen Art. Das Boot, das wir seit dem Morgen auf dem AIS sehen, kommt uns immer näher. Bald schon sind auf Steuerbord die Positionslichter zu erkennen. Es ist jetzt deutlich langsamer und fällt auf einmal ab. Als wir vorbei sind, holt es wieder auf und segelt keine 200 Meter parallel zu uns. Aber kein Zeichen seitens der Crew. Keine Reaktion. Silke muss richtig aufpassen, dass wir nicht zu nahe kommen (das ist bei der Windsteueranlage nicht immer so einfach, denn bei einer Böe kann das schon mal eine kurzfristige Kursänderung von 10- 20 Grad bedeuten). Nach fast einer Stunde wird das andere Boot langsamer, fällt erneut ab und verschwindet in der Nacht und kurze Zeit später auch vom AIS (als wir Funchal erreichen, schauen wir nochmal auf Vesselfinder: sie haben noch 30! Meilen vor sich ?!?) und nachdem sie am Nachmittag hier kurz in Funchal im Hafen waren, gehen sie nach Quinta de Lorde. Zu gerne hätten wir gefragt, was los gewesen ist…

Morgens, mir geht es jetzt deutlich besser, löse ich Silke ab und wir haben ein Etmal (gesegelte Meilen in 24 Stunden) von 140 sm geschafft. Das ist für unseren Karl mit fast sechs Knoten im Schnitt ziemlich schnell. Langsam kann ich erst Flüssiges, dann auch wieder Festes zu mir nehmen und mir geht’s deutlich besser.

Als Silke sich am frühen Morgen einen Tee macht, verbrennt sie sich erstens die Lippe am heißen Tee und zweitens spuckt sie ihn sofort angewidert in die Spüle. Anscheinend sind die Thermotassen beim letzten Mal nicht richtig gespült worden, denn der Tee schmeckt nach Hühnerbrühe! Kommt mir merkwürdig vor, denn die haben wir gar nicht an Bord ? Nach ordentlichem Spülen bemerkt Silke, dass unser Wasservorrat aus den Tanks salzig schmeckt. Sollte das Wasser, welches wir in Graciosa gebunkert haben, salzig gewesen sein? Wir kontrollieren den Tankverschluss, alles ok. Später aber kommt mir ein Verdacht. Karl taucht bei dem Seegang häufig mit der kompletten Spitze ins Wasser und vorne ist der Ankerkasten. Trotz Ankerkastendeckel wird der Kasten regelmäßig dabei gespült. Das ist weiter nicht schlimm, denn das Wasser läuft, so wie es hineinkommt, auch wieder ab. Aber es befinden sich hier auch die Entlüftungen für die Süsswassertanks. Sollte hier Salzwasser eingedrungen sein? In Funchal stellt sich heraus, dass es tatsächlich so ist. (Anker)Klappe, die zweite ?. Aber das ist überhaupt nicht gut und steht jetzt auf unserer to do-Liste ganz oben.

Am zweiten Tag wird es langsam ruhiger. Der Seegang verbindet sich mit der Windsee, beide kommen jetzt aus Nord-Ost und auch der Wind geht nur noch selten über die 20 Knoten. Aber wir bleiben schnell… In der zweiten Nacht übernehme ich um elf die Wache und Silke bekommt ihren verdienten Schlaf. Nachdem der Mond untergegangen ist, sieht man in 50 Meilen Entfernung das Leuchten von Funchal am Himmel. Um kurz nach vier passieren wir den Leuchtturm Punta da Agulha der Ilha Desertas. Noch 25 Meilen bis Funchal. In Abdeckung der Inseln wird die See und der Wind ruhiger. Da wir nicht im Dunkeln ankommen wollen und Silke tief und fest schläft, lasse ich das Reff im Großsegel. Wir treten sozusagen auf die Bremse. Um halb neun legen wir am Rezeptionssteg in der Marina in Funchal an.

Wir haben Glück. Erst sollten wir an die Hafenmole ins Päckchen, aber als der Marinero meinen Fussverband sieht, bekommen wir einen Platz mit Fingersteg. Ich glaube, das machen wir jetzt immer so. Da hat der verletzte Zeh doch noch sein Gutes. Nach der etwas lästigen aber sehr freundlichen Anmeldeprozedur sowohl bei der Polizei als auch bei der Marina geht es glücklich und geschafft ins nächste Café zum Frühstück. Denn hier gibt es Bolo do Caco und da kann zumindest ich nicht Nein sagen…

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