Funchal-Azoren oder Ansichten eines Seekranken

Eine Woche in Funchal und wir hatten schon fast vergessen, wie schön Madeira ist…

Da wir auf dem Weg zu den Kanaren Madeira kreuz und quer erkundet haben, lassen wir uns jetzt einfach nur durch die Hauptstadt Funchal treiben. Blütenreiche Bäume säumen die Straßen, über Mauern schlängeln sich blühende Ranken, in den Parks leuchtet ein bunter Blumenmix. Die gesamte Stadt ist in ansteckender Frühlingsstimmung. Ein dreitägiges Straßentheaterfest an verschiedenen Standorten zieht das Publikum an, die Straßencafés sind gefüllt, auf den Parkbänken werden die Gesichter der Sonne entgegen gestreckt. Im September waren wir hier einige Male tagsüber für mehrere Stunden. Ganz anders ist es aber dann doch, das geschäftige Treiben in Funchal jetzt nonstop zu erleben.

Was treiben wir, wenn wir uns treiben lassen? Eine kleine Führung mit Weinprobe zur Geschichte und Herstellung des Madeira-Weins in Blandy’s Wine Lodge, Busfahrt zum botanischen Garten und langer steiler Fußmarsch zurück, in der Fabrica Sto. Antonio Bolo de Mel (Honigkuchen von Madeira) und andere sicher sehr vitaminreiche Kost probieren, durch Parks und kleine Seitenstraßen schlendern, täglich einen Poncha (Honig-Zitronen-Zuckerrohrschnaps) schnasseln, Eis essen, zum Friseur gehen, täglich Wetter für die Weiterfahrt beobachten, ein paar Kärtchen schreiben, abends lecker essen gehen.

Um Karl kümmern wir uns natürlich auch. Da wir bei der Überfahrt von La Graciosa nach Madeira Salz im Süsswassertank hatten, mußten wir den gesamten Inhalt erst einmal entleeren. Vermutlich ist Salzwasser über die Lüftungsauslässe der Trinkwassertanks im Ankerkasten gelaufen; Karl musste ja unbedingt U-Boot spielen…

Ehe wir uns versehen, ist es auch schon wieder Zeit für die Weiterfahrt. Obwohl wir uns sehr auf die Azoren freuen, hat uns die Woche in der Marina in Funchal sehr sehr gut gefallen, zumal wir ja im September nicht geplant hatten, noch einmal hierher zurückzukommen.

Aber jetzt sind wir ja nur auf  „Durchreise“ und warten auf unser Wetterfenster zu den Azoren, genauer gesagt nach Santa Maria, der süd-östlichsten Insel der Azoren. Es ist die Insel, die schon Roland Kaiser Anfang der 1980er so „stimmungsvoll“ besungen hat ??. SY Karakter liegt in Porto Santo und wir sind regelmäßig in Kontakt. Auf Porto Santo warten gleich mehrere Schiffe auf den Absprung. Also wird diskutiert, telefoniert, Wetterdaten von unterschiedlichen Systemen heruntergeladen und verglichen. Knapp 500 Meilen sind es bis Santa Maria, das bedeutet, wir brauchen ein Fenster von mindestens vier, besser fünf Tagen. Ab Montag deutet sich für Gründonnerstag eine Lücke an. Sogar für sechs Tage. Bis Mittwoch morgen schrumpft diese auf ziemlich exakt 4 Tage. Donnerstagmittag soll der Wind von Nord-West erst auf Nord und am späten Nachmittags auf Nord-Ost drehen. Im Schnitt zwischen 20 und 25 Knoten…nicht wenig, aber machbar. Welle: die ersten zwei Tage um drei Meter, später dann abnehmend auf zwei Meter. Am Montag dreht der Wind, aber nach der letzten Vorhersage jetzt schon am frühen Morgen wieder auf Nord-West zurück und ein kräftiger Tiefausläufer liegt ausserdem noch über den Azoren; mit deutlich über 35 Knoten aus Nord-West im Gepäck. Das Wetterprogramm Windy sagt, der Ausläufer kommt Montagmorgen mit Wucht bis Santa Maria, Wetterwelt sieht den Ausläufer mehr nordöstlich. Ab Donnerstagmittag sind es bis Montagfrüh also nur noch knappe vier Tage. Reicht das für unseren kleinen Karl? Wir entscheiden, JA, das muss reichen, denn danach kommt für die folgende Woche nichts Vergleichbares. Auch die Schiffe auf Porto Santo entscheiden sich; Donnerstag ist Starttag… Morgens nochmals gecheckt, es bleibt stabil. Die Boote aus Porto Santo verlassen um 10.00, wir gegen 11.00 Uhr den Hafen. Auf Vesselfinder sehen wir die Flotille sich mit Westkurs von Porto Santo entfernen. Wir haben erst einmal noch die Windabdeckung von Madeira, denn wir wollen das Westkap von Madeira runden. Nach ca. 10 Meilen unter Motor sehen wir die erste Gischt fliegen. Das erste Reff ist im Gross, die Fock ist draußen und los geht’s. Nord-West-Wind mit 20-25 Knoten! Wir segeln so hoch am Wind wie möglich, können aber mal grad 250 Grad laufen. Frust! Ein Kugelfender befreit unsern Rettungskragen samt Notleuchte aus der Halterung und zack landet der in unserem Kielwasser . Wir gucken uns an, überlegen kurz, ob wir ihn sausen lassen, aber nein. Eine (un)willkommene Mensch-über-Bord-Übung. Also Wende und mit back gestellter Fock drauf zu treiben. Tatsächlich schaffen wir es im dritten Versuch unter Segeln, perfekt mit backgestellter Fock, den Rettungskragen in Lee aus dem Wasser zu fischen. Ein gutes Gefühl, das bei 25 kn Wind und 2-3 Meter Welle nur unter Segel hinbekommen zu haben. Jetzt heisst es aber, nicht den Anschluss an die Flottille aus Porto Santo zu verlieren. Langsam aber sicher dreht auch der Wind um die Westküste von Madeira herum und die Kapeffekte, heisst: heftigere Böen, höhere Welle, Strömung gegenan, sind mehr als unangenehm und fordern uns, bevor wir eigentlich richtig los sind.

Zwei Stunden später kommen wir endlich von der Insel frei, alles beruhigt sich ein wenig, Karl liegt ca. 30 Grad auf der Seite und wir pflügen mit 6 Knoten durch den Atlantik Richtung Nord-West. Die Erfahrung, dass dies jetzt für die nächsten vier Tage so sein wird, ist für uns beide neu und bereitet uns ein wenig ein mulmiges Gefühl. Besonders da mir ja neuerdings das Phänomen der Seekrankheit nicht mehr fremd ist. Und wenn man anfängt drüber nachzudenken, ist es auch schon zu spät. Gegen fünf Uhr Nachmittags wissen die Fische, daß es sich lohnen könnte, uns zu verfolgen. Um Neun wird es dunkel, die Sonne hat sich aber schon vorher hinter einer Wolkenwand versteckt. SY Karakter (Hans Christian 43) meldet sich wie vereinbart per Funk. Sie befinden sich ca. 10 Meilen nordöstlich von uns. Haben auch gerefft und versuchen, sich im Schongang an die Situation zu gewöhnen. Ausserdem stehen wir noch mit den dänischen Booten SY Vela und SY Off Course in Verbindung. Wie schon bei der Überfahrt nach Madeira übernimmt Silke die komplette erste Nachtwache draußen im Cockpit. Es ist kalt und nass, nur ab und zu kommt der Vollmond hervor. Danke Dir Silke, Du machst das großartig! Ab Freitag bleiben wir jetzt häufiger beide unter Deck. Nur selten kommt die Sonne durch, es ist bewölkt, nass und kalt. Im Laufe des Tages bemerken wir, das unser Süßwasser wieder leicht salzig schmeckt. Es muss doch noch eine andere Ursache haben! Es ist aber genug Flaschenwasser gebunkert, also brauchen wir uns keine Sorgen zu machen. Nachmittags lässt der Wind uns für ein paar Stunden ein wenig Luft schnappen und geht auf 10 Knoten zurück, aber nur, um zum Samstag hin wieder richtig zu beschleunigen. So war es auch vorhergesagt. Über unser IridiumGO laden wir jeden Vormittag die neusten Wetterdaten herunter und teilen Sie der Gruppe mit. Mittlerweile ist klar, Wetterwelt sollte Recht behalten, dass Tief wird am Montagmorgen Santa Maria nur am Rande streifen, aber der Winddreher auf Nordwest ist jetzt sogar schon für die Nacht vorhergesagt. Es wird knapp für uns. In der zweiten Nacht entscheiden wir, beide unten im Salon zu bleiben. Der AIS- und Radar-Alarm wird eingeschaltet und alle halbe bis Dreiviertelstunde machen wir einen Rundumblick. Habe mich auf den Salonboden verzogen, seltsamer An- bzw. Ausblick von hier, aber da es der ruhigste Ort im Schiff ist, soll es gut sein…bei Seekrankheit. Mir kommt sowohl die Aussicht als auch die Seekrankheit sehr befremdlich vor. Die Nacht von Samstag auf Sonntag ist die wildeste. Jetzt haben wir konstant 25 Knoten, 3 Meter Welle, und es ist kaum zu glauben, wie laut das im Inneren des Schiffes ist. Immer wieder kracht Karl in die Wellen, das ganze Schiff erzittert und das Wasser rauscht nicht nur unterm und am Rumpf, sondern auch über Deck an bzw. über Karl vorbei. Der Wasserdruck erhöht sich und die mittlere Luke fängt an zu tropfen. Man liegt im Salon auf der Bank und sieht, wie die Tropfen – alle paar Minuten einer – schräg wegtropfen, Tropfenmeditation! Da, wo die Tropfen auftreffen, legen wir ein Handtuch hin. Mehr können wir jetzt nicht tun. Im Laufe des Ostersonntag beruhigt sich das Wetter und auch mein Appetit kehrt zurück. Wo sind die Ostereier?

Am Nachmittag reffen wir aus, denn unter fünf Knoten Fahrt können wir uns nicht erlauben. Beim Ausreffen bleibt ein Segelrutscher an der Segeleinführung hängen und da ich dies nicht sehe, reiss ich ihn mit der Winsch aus dem Segel. Aua, aber wir können problemlos weitersegeln, eine weitere Beschädigung des Großsegels ist nicht zu befürchten. Unsere wahrscheinliche Ankunftszeit bei im Schnitt 5,7 Knoten liegt bei vier Uhr Montag morgen. Mittlerweile soll der Wind ab Mitternacht auf Nord drehen, sich aber auch abschwächen. Erstes ist schlecht, zweites ist gut. Gegen zehn Uhr am Abend von Sonntag auf Montag taucht am Horizont das regelmäßige Blinken des Leuchtfeuers von Santa Maria auf. Noch knappe dreißig Meilen! Wir haben immer noch eine fast klare Vollmondnacht. Kurze Zeit später dreht der Wind auf Nord und lässt auf max. 10 Knoten nach. Wir entscheiden uns, das für die letzten 20 Meilen der Volvo herhalten muss, damit wir nicht morgens, wenn der Wind weiter dreht und auch wieder zunimmt, noch in Schwierigkeiten kommen. Über Funk hören wir, dass alle letztendlich so entscheiden, wobei SY Vela auch schon in den Hafen einläuft (43 Fuß Dufourt). Alle Schiffe werden in dieser Osternacht von Delfinen in den Hafen begleitet. Kurz, nachdem wir den Leuchtturm gesichtet haben, tauchen sie rechts und links vom Boot auf und bleiben tatsächlich bis kurz vor dem Hafen bei uns. Manchmal sind mir diese tollen Tiere fast ein bißchen unheimlich. Von Müdigkeit, Seekrankheit und allen Anstrengungen ist jetzt keine Spur mehr. Immer mehr Lichter tauchen auf, Delfine, Vollmond und die letzten Meilen fliegen dahin. Gegen vier laufen wir, ca. eine Stunde hinter Karakter, in den Hafen ein. Platz genug ist da und schnell ist ein Plätzchen gefunden. Absolute Stille herrscht im Hafen. Ein intensiver Geruch nach feuchter Erde liegt in der Luft, angekommen! Gegen halb fünf sitzen wir bei einem guten Gläschen Madeira-Wein in der Plicht und gratulieren uns zur Ankunft. Das Glas ist noch nicht leer, da beginnt es plötzlich in den Wanten zu pfeifen, Böen knallen aus Nord-West in den Hafen und waagerecht peitscht Regen über’s Land. Schnell verdrücken wir uns in die Koje und schlafen mit dem glücklichen Gefühl ein, alles richtig gemacht zu haben….

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4 Comments to “Funchal-Azoren oder Ansichten eines Seekranken”

  1. Liebe Karl Crew,

    konnten uns bei dem perfekt beschriebenen Bericht direkt in die Überfahrt hinein versetzten. Silke, ein großes Lob an Dich, die Nachtwache alleine und an Deck gemeistert zu haben. Chapeau!!!
    Hans, auch Dein Bauchgefühl konnte ich ganz genau nachvollziehen?
    Liebe Grüße von der Tiger Blue

  2. Ja, da habt ihr wirklich alles richtig gemacht!! Bravo!!
    Euer Mannüberbordmanöver beeindruckt uns sehr. Bei der nächsten Gelegenheit üben wir das auch!!!
    Wünschen euch eine schöne Zeit auf den Azoren, Köbi und Pia von der Lupina

    1. Ja, wir wurden ja gewissermaßen dazu gezwungen,aber besser ist es das regelmäßig mal zu machen… Meistens siegt dann die Faulheit… ???

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